Pränatale Psychologie Drucken

Grundannahmen der pränatalen Psychologie

  • Ein Mensch wird nicht Mensch, sondern ist Mensch und verhält sich von Anfang an als solcher. Und zwar in jeder Phase seiner Entwicklung von der Befruchtung an (zit. nach Blechschmidt 1989, S.30 "Wie beginnt das menschliche Leben")
  • Die Weiterentwicklung baut immer auf früheren Strukturen und Funktionen auf und wird von ihrer jeweiligen Qualität beeinflusst.
  • Sobald es Zellen gibt, sind sie lebendig und in Funktion: sie nehmen wahr, kommunizieren miteinander, reagieren auf die Umwelt (z.B. schalten Gene an und aus)
  • Der pränatale Organismus ist nicht ein Körper, dessen Beseelung irgendwann einmal hinzukommt: Er ist von der Konzeption (Zeugung) an psychophysischer, weil menschlicher Natur. Diese Definition der Psyche ist also nicht an ein funktionierendes Nervensystem gebunden. Man muss davon ausgehen, dass psychische Funktionen auch schon vorgeburtlich, wenn auch in rudimentärer Weise gegeben sind: schon Zellen nehmen wahr und verändern sich durch ihre "Erfahrungen" also durch Umweltreize
  • Grundkonfigurationen von Emotionen (sind) auch in einfachen Organismen (zu) finden, sogar in Einzellern (Damasio 2000, S.90 "Ich fühle also bin ich")

Aus Joachim Bauer : Das Gedächtnis des Körpers

ERBE UND UMWELT: Neurobiologische Erkenntnisse

Diese Frage ist heute überholt. Wir wissen, dass es eine DNA gibt, welche die einzigartige Erbinformation des jeweiligen Menschen darstellt. Diese fungiert als Bauplan für Proteine (Enzyme, Hormone, Botenstoffe) Die Gene müssen zur Genexpression angeregt werden. Sie werden an- und ausgeschaltet. Der Stimulus hierfür kommt aus der Umwelt (Joachim Bauer: Das Gedächtnis der Körpers, 2002) Gene steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert -..sie unterliegen zahlreichen Einflüssen, die ihre Aktivität in hohem Maß regulieren. Alles was wir lernen, vollzieht sich im Zusammenhang mit zwischenmenschlichen Beziehungen. (s.o. S 7) (Soziale Konstruktion des menschlichen Gehirns (Leon Eisenberg) Der Molekularbiologe Jens Reich hat Gene, die bekanntlich Träger unserer Erbanlagen sind, mit einem Konzertflügel verglichen. Es gibt Tasten (DNA), aber es können ganz unterschiedliche Melodien (tatsächliche Genexpression) gespielt werden. Genetische Reaktionsmuster werden durch Erlebnisse und Erfahrungen eingestellt. (S 8) Wir selbst wirken durch die Gestaltung unserer zwischenmenschlichen Beziehungen entscheidend daran mit, was sich biologisch in uns abspielt. (S11) Vor den Genen sind Genschalter, sogenannte Promoter oder enchancer. Das ist ein kurzer Abschnitt vor dem eigentlichen Gen. Daran können sich Signalstoffe (Transkriptionsfaktoren) anlagern,  die bewirken, dass ein Gen an oder abgedreht wird (Genregulation). Signale kommen aus der Außenwelt (Nahrung, Klima, psychische Einflüsse) Seelische Erlebnisse werden vom Gehirn in bioelektrische Impulse und in die Freisetzung von Nerven- Botenstoffen umgewandelt. Das Gehirn macht aus jedem psychischen einen biologischen Vorgang.

IN BEZIEHUNG

Der Ort, an dem sich die Beziehung zwischen Mutter und vorgeburtlichen Kind abspielt, ist der mütterliche Organismus Aus Gerald Hüther /Inge Krens: Das Geheimnis der ersten 9 Monate

  • Die Gebärmutter ist das erste Zuhause für die Seele
  • Die menschlichen Gehirne werden nutzungsabhängig verschaltet, entsprechend der jeweiligen Lebenswelt. Das gilt auch schon für die pränatale Zeit.
  • Die Vorstellung von automatischen Abspulen der im Kern der befruchteten Eizelle enthaltenen Erbinformation (genetischer Determinismus) ist unter Einbezug der neurobiologischen Erkenntnisse und pränatalen Forschung nicht mehr haltbar. Genetische Programme legen bestenfalls fest, was aus uns werden könnte, nicht was wir sind.
  • Kinder lernen bereits lange vor der Geburt. Sie sammeln Erfahrungen über die Beschaffenheit ihrer intrauterinen Lebenswelt und verankern diese in ihrem Gehirn in Form bestimmter Verschaltungsmuster der sich dort entwickelnden Nervenzellen und synaptischen Verbindungen.
  • Die transgenerationale Weitergabe ist keine genetische. Nicht alles was angeboren ist, ist also wirklich vererbt. Eigenschaften und Fertigkeiten mit denen Kinder auf die Welt kommen und die auf den ersten Blick so aussehen, als seien sie vererbt, können vorgeburtlich erworben sein.

Wechselspiel von Umweltfaktoren und Anlagen

  • Die Gebärmutter, das erste Zuhause des ungeborenen Kindes, ist Teil des komplexen körperlichen, psychischen und sozialen Systems Mutter. Sie reagiert auf ihre persönliche Art auf Belastungen, schüttet Hormone aus, ist entspannt oder  angespannt, gesund, krank. Sie ist eingebettet in Beziehungen und sozi-ökonomische und politische Bedingungen. Frauen die einen missbrauchenden oder vernachlässigenden Partner haben, haben ein doppelt so hohes Risiko ein emotional oder psychisch belastetes Kind zur Welt zu bringen, als Frauen in ökonomisch und emotional gesicherten Beziehungen (S 30)
  • Kinder von  Paaren, denen es gelingt das Kind als dritte Person gedanklich während der Schwangerschaft in die Beziehungswelt zu integrieren, waren im Kleinkindalter deutlich weniger aggressiv. Das Gefühlsleben der Schwangeren wird auch nachhaltig durch den Vater des Kindes beeinflusst und wirkt sich so auf indirekte Weise auf das Kind aus.
  • Hormonelle Veränderungen beim Mann: erhöhte Prolaktin, Kortisol und Östrogenwerte, rapide Reduktion des Testosteronspiegels nach der Geburt sind günstig für Väterlichkeit.
  • PARADIGMENWECHSEL: psychologische Aspekte der Schwangerschaft werden wissenschaftlich untersucht und bestätigt. Psychische Entwicklung ist nicht an ein eigenes Bewusstsein gekoppelt, sondern schon zellulär verankert.